1. Gibt es in Ihrem Rechtssystem Urkunden, die unter den wie in der EU-Gesetzgebung definierten Begriff der öffentlichen Urkunde fallen?
[ „öffentliche Urkunde“: ein Schriftstück, das als öffentliche Urkunde aufgenommen oder registriert worden ist, wobei die Beurkundung
(i) sich auf die Unterschrift und den Inhalt der Urkunde bezieht und
ii) von einer Behörde oder einer anderen von dem Ursprungsmitgliedstaat hierzu ermächtigten Stelle vorgenommen worden ist.]
Ja.
Falls ja, welche? Handelt es sich um notarielle Urkunden oder von Urkunden anderer Stellen?
Notarielle Urkunden wie etwa Testamente, Erbverträge sowie Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft fallen unter die Definition des Artikel 3(1)(i) der Verordnung No. 650/2012. Daneben können Annahme und Ausschlagung einer Erbschaft ebenfalls vor dem Nachlassgericht erklärt werden.
2. Genießen sämtliche öffentliche Urkunden dieselbe erhöhte Beweiskraft?
3. Falls die Antwort auf Frage 2 „nein“ lautet, welche Unterschiede bestehen und welche Rechtsvorschriften regeln die Unterschiede?
4. Die erhöhte Beweiskraft betrifft:
- Den Tag der Errichtung der öffentlichen Urkunde;
- Den Ort der Errichtung der öffentlichen Urkunde;
- Die Unterzeichnung der öffentlichen Urkunde durch die Beteiligten;
- Die Erklärungen der Beteiligten;
- Die Tatsache, dass die Beteiligten persönlich erschienen sind, sowie die Art und Weise ihrer Identifizierung (nach vorherrschender Meinung von Rechtsprechung und Lehre).
5. Die erhöhte Beweiskraft kann angefochten werden:
Vor folgender Behörde: Je nach Streitwert vor dem Amtsgericht oder dem Landgericht.
Nach folgendem Verfahren (Angabe der geltenden Bestimmungen): Es gibt keinen besonderen Rechtsbehelf gegen die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde. Die Beteiligten können zum einen die Beweiskraft der betreffenden Urkunde im Rahmen jedes Verfahrens anfechten, in dem die Urkunde als Beweismittel vorgelegt wird. Es ist jedoch auch möglich, die öffentliche Urkunde in Rahmen eines Verfahrens anzufechten, das einzig und allein das Ziel der Feststellung der Beweiskraft der öffentlichen Urkunde zum Gegenstand hat (sog. „Feststellungsklage“ siehe § 256 ZPO).
Innerhalb welcher Fristen: Da es keinen besonderen Rechtsbehelf gibt (siehe oben), gilt, abgesehen von den Verfahrensfristen, keine besondere Frist.
1. Welche Behörden bzw. Stellen, die hoheitliche Befugnisse besitzen, können öffentliche Urkunden gemäß Art. 3 Absatz 1 Buchstabe i der Verordnung 650/2012 errichten?
Nach Art. 3 Absatz 1 Buchstabe i der Verordnung 650/2012 sind in Deutschland
- Notare und
- Konsularbeamte
zur Errichtung öffentlicher Urkunden ermächtigt. Letztere können öffentliche Urkunden im Ausland errichten.
2. Bitte geben Sie die geläufigsten öffentlichen Urkunden im Falle der Rechtsnachfolge von Todes wegen sowie die ausstellenden Behörden an.
- Testamente1 und Erbverträge (fallen in die ausschließliche Zuständigkeit des Notars);
- Erbausschlagungen (fallen in die Zuständigkeit der Notare und der Gerichte);
- Erbauseinandersetzungen (fallen in die Zuständigkeit des Notars);
- Nachlassinventare (fallen in die Zuständigkeit der Notare und der Gerichte)
- Erbscheinanträge (fallen in die Zuständigkeit des Notars und der Gerichte).
In den Fällen, in denen der Notar zuständig ist, sind auch Konsularbeamte für im Ausland errichtete Urkunden zuständig – außer für Testamente und Erbverträge, bei denen sie lediglich die letztwilligen Erklärungen deutscher Bürger beurkunden können (Art. 10 ff. Konsulargesetz, KonsG).
1 Die privatschriftliche Urkunde ist keine öffentliche Urkunde und ihre Beweiskraft ist stark eingeschränkt.
3. Beweiskraft spezifischer Urkunden, beispielsweise des „acte de notoriété“ in Frankreich und Italien.
1. Welche Urkundstypen gibt es im Bereich des Familienrechts?
- Eheverträge (Gütergemeinschaft oder Gütertrennung; Vorschriften zum Unterhaltsrecht der Ehegatten etc.);
- Vaterschaftsanerkennung;
- Antrag auf Adoption (einfache oder Volladoption eines Volljährigen oder Minderjährigen);
- Zustimmung beispielsweise des Ehegatten des Adoptierenden oder Adoptierten zu einer Adoption.